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24. November 2022

Mutismus bei Kindern

Allgemeines zum selektiven Mutismus

Mutismus bezeichnet man auch als psychogenes Schweigen. Betroffene leiden unter dieser Kommunikationsstörung (in der Medizin als Angststörung klassifiziert) bei der keine erkennbaren Defizite der Sprechorgane oder des Gehörs auszumachen sind. Mutismus ist keine Phase, sondern ein andauernder Zustand. Er beginnt im Kleinkind bis Vorschulalter, in der Regel zwischen 2 und 5 Jahren. Ohne Therapie dauert dieser Zustand meist Jahre an. 

Mädchen sind häufiger betroffen

Mutismus bleibt häufig unerkannt, da Betroffene zum Beispiel im Kindergarten oder in den Schulen einfach als die Stillen, die Introvertierten oder die Schüchternen eingestuft werden. Dabei sind ein bis zwei von 100 Kindern betroffen, wobei aktuell Mädchen doppelt so häufig wie Jungen betroffen sind, und mehrsprachige Kinder sogar viermal häufiger. Wussten Sie, dass es betroffenen Kindern besonders schwer fällt ihren eigenen Namen und die Namen anderer zu nennen? Auch Höflichkeitsfloskeln wie "bitte" und "danke" zu verwenden oder auch jemanden zu begrüßen oder zu verabschieden, gestaltet sich als schwierig bis nicht möglich. Dinge, die man als erwachsener Mensch als meist einfach und selbstverständlich voraussetzt, bei Betroffenen jedoch in nicht wenigen Fällen den Leidensdruck steigern. 

Gut gemeinte Hilfen ... helfen?!?

Manchmal werden im Umfeld des Kindes vermeintlich gute Hilfen gestellt. Kinder sollen das Gegenüber anschauen und vielleicht noch dabei laut sprechen. Sie bekommen Dinge vorenthalten, solange sie nicht antworten. Sie sollen auf Zwang sprechen. Solche und viele anderen "Hilfen", vergrößern bei mutistischen Kindern, oder Kindern mit mutistischen Zügen den Leidensdruck ungemein. Von den betroffenen Kindern wird etwas verlangt, was schlicht und ergreifend nicht möglich oder nur unter größtem Leidensdruck umsetzbar ist. Als Vergleich könnten Sie sich vorstellen, Sie verfügen über rudimentäre französische Sprachkenntnisse und sollten die Eröffnung der neuen Ausstellung im Louvre in Paris (auf Französisch) moderieren - egal ob Sie wollen oder nicht. Gleich morgen Abend ...

Mutismus gleich Mutismus?

Die Ausprägung des Störungsbildes kann unterschiedlich sein. Generell empfinden aber alle Betroffenen eine Angst bzw. Unsicherheit in Situationen, in denen Sprechen erwartet wird. Sie sind dann dementsprechend nicht in der Lage zu sprechen. Das Schweigen ist der Versuch, diese Angst in den Griff zu bekommen. Mutismus kann also als eine angstbasierte Kommunikationsstörung angesehen werden, die auch z.B. zu einer deutlichen Beeinträchtigung schulischer Leistungen bzw. sozialer Kontakte führen kann. 

Stark betroffene mutistische Kinder können selbst auf nonverbale Kommunikation (Zeigen, Gestikulieren, Blickkontakt) nicht zurückgreifen und wirken oft wie erstarrt. Gerade für Erzieher und das Umfeld des Kindes ist wichtig, um diesen Umstand zu wissen. Häufig erstreckt sich das Nichtsprechen auf alle Kontexte außerhalb des gewohnten häuslichen Umfelds, so dass die Kinder entsprechend zu Hause oft kleine durchaus dominante Quasselstrippen sind bzw. sein können. Außerhalb des gewohnten Umfelds zeigen sie eine schweigsame und gehemmte Seite. In einer etwas leichteren Ausprägung sprechen sie z.B. eventuell nur sehr leise oder flüstern, antworten zeitverzögert oder tendenziell eher einsilbig.

Schon gewusst, dass ...?

In Versuchen fand man heraus, dass es im Moment eines Sprechversuchs durchaus zu einer Anspannung der Stimmbänder kommt, was gegen die weit verbreitete Theorie spricht, dass das Kind doch sprechen könne, dies aber nur aus Trotz und eben vielleicht sogar absichtlich nicht machen würde. Nicht selten geht der Mutismus auch mit weiteren Angststörungen einher, die sich bspw. dadurch äußern können, dass betroffene Kinder nicht gern in Anwesenheit anderer essen oder trinken, nicht auf Toilette gehen oder nicht allein einschlafen können. Betroffene haben außerdem oft Schwierigkeiten mit dem Thema "Veränderungen". Veränderungen ihrer gewohnten Struktur (Tagesablauf, o.Ä.) können häufig kompliziert umgesetzt werden, oft brauchen mutistische Kinder mehr Ruhepausen. 

Erklärungsversuche, Ursachen und Beginn

Als Erklärungsversuch zieht man teilweise familiäre Veranlagungen heran. Knapp die Hälfte der Betroffenen hat ein Familienmitglied, dass ebenfalls mutistisch ist. In 70% der Fälle hat ein Elternteil eine Sozialphobie. In diesem Fall lernen Kinder am Modell und interpretieren das Schweigen des Elternteils als angemessenes Verhalten in bestimmten sozialen Situationen.

Das ungewollte Schweigen beginnt meist vor dem 5. Lebensjahr, häufig wie oben beschrieben zwischen 2 und 5 Jahren. Eine Diagnosestellung ist frühestens bei dreijährigen Kindern möglich. Als Auslöser für einen Mutismus können einschneidende Erfahrungen bzw. Erlebnisse des Kindes gelten, wie bspw. Umzüge, Schul- oder Kindergartenstart oder auch familiäre Belastungen wie Scheidungskonflikte oder auch bei Mehrsprachigkeit. Bei circa 30 bis 50% der Kinder liegen zusätzlich weitere Sprachprobleme vor, die sich in den Bereichen Aussprache, Sprachverständnis, Wortschatz oder Erzählfähigkeit bemerkbar machen können.

Menschen, Orte und Aktivitäten 

Es gibt drei Variablen, die es einem mutistischen Kind erschweren, sich verbal mitzuteilen und die Sprachangst auslösen oder beeinflussen. Das Sprechen wird schwerer mit steigender Anzahl von Menschen, an unbekannten Orten sowie bei neuen Aktivitäten. 

Eine mögliche therapeutische Herangehensweise

In einer logopädischen Therapie wird versucht eine Stresstoleranz aufzubauen und so die Sprechangst langfristig zu senken. Schritt für Schritt wird die Fähigkeit des Sprechens auf neue Situationen übertragen und in verschiedenen Kontexten erweitert. So kann bspw. an neuen Orten oder auch alten Orten, an denen früher nicht gesprochen wurde das Sprechen etabliert werden. Des Weiteren kann das Sprechen in Anwesenheit anderer Menschen trainiert werden oder dann, wenn es neue Handlungen durchführt. Eine Therapie ist von großer Wichtigkeit, da mögliche Folgen wie Depressionen, Schulverweigerung und verminderte Lebensqualität im Laufe des Lebens drohen können.

Die Elternarbeit ist bei der therapeutischen Begleitung ein zentraler Punkt. Die Eltern des Kindes nehmen sowohl in der Therapie als auch begleitend zu Hause eine wichtige Rolle ein, um gemeinsam mit dem Kind den Teufelskreis des Schweigens zu durchbrechen und das Schweigen nicht weiter ungewollt zu stützen, indem sie z.B. für das Kind sprechen. Das Aufklären des Umfeldes ist ebenfalls von enormer Bedeutung. Sprechen sollte hier nicht eingefordert werden oder das Kind gar für Nichtsprechen bestraft oder beschämt werden. Die Eltern erlernen mit dem Kind gemeinsam Kommunikationstechniken und begleiten deren Umsetzung im Alltag.